Bildbetrachtung: Saturn wird wieder ganz

Peter Birkhäuser, Der Pissoirputzer, 1959

 

In der Mythologie der Antike zeigte Kronos (bei den Griechen) beziehungsweise Saturn (bei den Römern) viele Seiten, und er war hochverehrt. Kronos galt in den Zeiten vor Zeus als der oberste Gott. Zu seinen schrecklichen Seiten gehörte, dass er (unter tragischen Umständen) seine Kinder unmittelbar nach ihrer Geburt verschlang. Andererseits war er, später in Italien, der Gott des Ackerbaus und ein weiser Lehrer, der den Menschen Landwirtschaft und Zivilisation beibrachte. Die Römer bewahrten im Saturntempel am Fuss des Kapitols den Staatsschatz auf. Die Saturnalien waren die populärsten und fröhlichsten Feierlichkeiten am Jahresende im antiken Rom.

Als sich in vielen Ländern im Mittelalter das Christentum zur Staatsreligion entwickelte, wurden die positiven Seiten Saturns allmählich verdrängt. Die Menschen assoziierten mit ihm vor allem Sorgen, Melancholie, Unglück und harte Arbeit. Bildlich dargestellt wurde Saturn mit einer Sichel oder Sense für «Tod und Teufel». Sogar in der Neuzeit wurde er diesen Ruf nicht los. Rubens, Goya und Alfred Kubin sahen ihn einzig als den «Kinderfresser». – Saturn hatte sein ambivalentes Wesen mit negativen und positiven Seiten verloren.

 

Alfred Kubin, Saturn

Alfred Kubin, Saturn. Quelle: www.artnet.com

 

1959 malte Peter Birkhäuser nach einem Traum ein Bild, auf dem ein furchterregender, wilder Mann mit feuriger Aura zu sehen ist. Im Traum «befasste er sich mit der schmutzigen Arbeit der Instandstellung öffentlicher Abtritte und Pissoirs. Obwohl er schon älter sein mochte, machte er den Eindruck von bärenhafter Stärke; dazu ging wie ein mächtiger geistiger Einfluss von ihm aus, eine höchst seltsame, unheimliche Ausstrahlung, eine dunkle, unterweltliche, magische Gewalt.» Der Künstler nannte das Gemälde «Der Pissoirputzer» und «Saturn».

Auf diesem Bild erscheint Saturn endlich wieder ganz: zwar düster und furchterregend, aber im Dienst der menschlichen Gesellschaft stehend. Mit seinem Besen wischt er Exkremente der Menschen weg und wirbelt dabei Goldblättchen auf, die durch die Luft wirbeln!

Dies ist ein kulturgeschichtlicher Einfall zum «Pissoirputzer». Jedoch gibt es weitere Interpretationen von Peter Birkhäusers Gemälde, besonders solche, die seine Bedeutung für den Maler hervorheben. Einige sind zu finden im Buch «Der rote Faden».

 

Kaspar Birkhäuser, November 2021

Zurück